„Die Frucht des Geistes aber ist Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung.“ (Galater 5,22)
Der Apostel Paulus hatte das Evangelium nach Galatien gebracht und dann seine Missionsreise fortgesetzt. Nun schrieb er der Gemeinde einen Brief. Er warf ihr vor, die Bedeutung der christlichen Freiheit nicht verstanden zu haben. Für das Volk Israel war die Freiheit eine Gabe Gottes: Er hatte es aus der Sklaverei in Ägypten heraus in ein neues Land geführt und einen Pakt der gegenseitigen Treue mit dem Volk geschlossen.
In gleichem Maß, so Paulus, ist die Freiheit der Christen eine Gabe Jesu. Wir können in ihm und wie er Kinder jenes Gottes werden, der die Liebe ist. Jesus hat es uns gelehrt und vorgelebt1: Wenn wir den Vater nachahmen, können wir die Barmherzigkeit allen gegenüber lernen und uns in den Dienst der anderen stellen. Für Paulus bekommt der scheinbare Un-Sinn einer „Freiheit zu dienen” durch den Geist, den Jesus uns durch seinen Tod am Kreuz geschenkt hat, Sinn. Dieser Geist gibt uns die Kraft, aus dem Gefängnis unseres Egoismus – mit Spaltungen, Ungerechtigkeiten, Verrat, Gewalt – auszubrechen und führt uns in die wahre Freiheit.
„Die Frucht des Geistes aber ist Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung.“
Die christliche Freiheit aber ist nicht nur Geschenk; sie ist auch Auftrag. Vor allem sollen wir unser Herz für den Geist öffnen, ihm Raum geben und seine Stimme in uns hören.
Chiara Lubich* schrieb: „In erster Linie sollten wir uns der Gegenwart des Heiligen Geistes in uns mehr und mehr bewusst werden. Wir tragen in unserem Innern einen immens großen Schatz, doch werden wir uns dessen nicht genügend bewusst. (…) Um die Stimme des Geistes zu hören und ihr zu folgen, müssen wir nein sagen zu (...) den Versuchungen, indem wir meiden, was uns verführt; ja zu den Aufgaben, die Gott uns anvertraut, zur Liebe zu allen Menschen und zu den Prüfungen und Schwierigkeiten, die uns begegnen. Dann wird uns der Heilige Geist führen und unserem Leben, wenn es echt christlich ist, Stärke, Überzeugungskraft und Ausstrahlung verleihen. Wer uns begegnet, wird erkennen, dass wir nicht nur einer irdischen Familie angehören, sondern Söhne und Töchter Gottes sind.“2
Der Geist ruft uns dazu auf, nicht mehr uns selbst in den Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit zu stellen, sondern offen zu sein, zuzuhören, materielle und geistige Güter zu teilen, zu verzeihen und uns um die Menschen zu kümmern, denen wir im Alltag begegnen.
In dieser Haltung können wir dann die typische Frucht des Geistes erleben: unser menschliches Reifen zur Freiheit. In uns werden Fähigkeiten und Ressourcen ans Licht kommen und wachsen, die in unserer Selbstbezogenheit für immer verschüttet und ungenutzt geblieben wären.
Jede unserer Handlungen ist also eine Chance, nein zur Sklaverei des Egoismus zu sagen und ja zur Freiheit der Liebe.
„Die Frucht des Geistes aber ist Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung.“
Wer so dem Heiligen Geist in sich Raum gibt, baut gute menschliche Beziehungen auf bei allem, was er im Alltag tut, sei es auf familiärer oder sozialer Ebene.
Der Familienvater Carlo Colombino hat eine Firma in Norditalien.3 Etwa ein Viertel seiner sechzig Angestellten sind Migranten; einige von ihnen haben Schlimmes erlebt. Bei einem Interview sagte er: „Auch der Arbeitsplatz kann und soll zur Integration beitragen. Wir fördern Rohstoffe und recyceln Baumaterialien. Dabei trage ich auch Verantwortung für die Umwelt. Vor einigen Jahren hat uns die Krise schwer getroffen. Ich musste mich entscheiden, die Firma zu retten oder Arbeitsplätze. Einige Mitarbeiter mussten wir entlassen. Wir haben mit ihnen gesprochen und versucht, Lösungen zu finden, aber es war dramatisch, es hat mir schlaflose Nächte bereitet. Ich denke, ich kann meine Arbeit mehr oder weniger gut machen – und versuche, mein Bestes zu geben. Ich glaube daran, dass sich positive Ideen verbreiten. Es ist kurzsichtig, nur an den Gewinn zu denken. Im Zentrum muss immer der Mensch stehen. Ich bin als Christ davon überzeugt, dass unternehmerisches Handeln und Solidarität sich nicht ausschließen.”4
Setzen wir also mutig unsere persönliche Berufung zur Freiheit in die Tat um, dort wo wir leben und arbeiten. Wir ermöglichen so dem Heiligen Geist, das Leben vieler Menschen um uns herum zu erreichen und zu erneuern. Er wird Horizonte von „Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit und Güte” eröffnen.
Letizia Magri
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1 Matthäus, 5,43-48; Lukas 6,36; Markus 10,45
2 Chiara Lubich, Kommentar zum Wort des Lebens Februar 2011
3 Die Firma gehört zur AIPEC, einem Zusammenschluss von italienischen Firmen, die zur Wirtschaft in Gemeinschaft gehören. Weitere Informationen siehe www.edc-online.org/de
4 Vgl. Colombino, Nella mia azienda economia ed etica vanno a braccetto, in: Credere, 26 novembre 2017, 48, S. 24-28
* 1920-2008, Gründerin der Fokolar-Bewegung
© Alle Rechte an der deutschen Übersetzung beim Verlag NEUE STADT, München
Das „Wort des Lebens“ erscheint auch in der Zeitschrift NEUE STADT. Eine kostenlose Probenummer oder ein Abonnement (jährlich € 38,-) können Sie bestellen bei: Redaktion NEUE STADT, Hainbuchenstraße 4, 86316 Friedberg, redaktion@neuestadt.com