„Wer sich so klein macht wie dieses Kind, der ist im Himmelreich der Größte.“ (Matthäus 18,4)
Wer ist der Größte, der Mächtigste, der Erfolgreichste in Gesellschaft, Kirche, Politik oder Wirtschaft? Diese Frage prägt oft Beziehungen und Entscheidungen und – oft unbewusst – auch unser persönliches Handeln, obwohl wir doch eigentlich das Beste für die Menschen um uns herum wollen.
Matthäus erzählt in seinem Evangelium, dass auch die Jünger Jesu, nachdem sie vom Reich Gottes gehört haben, wissen wollen, wer in diesem Reich der Größte sein werde.
Anstatt die Frage zu beantworten, stellt Jesus ein Kind in die Mitte der Gruppe und sagt unmissverständlich:
„Wer sich so klein macht wie dieses Kind, der ist im Himmelreich der Größte.“
Damit setzt er ein Zeichen. Kinder sind das schwächste Glied der Gesellschaft, sie haben noch nichts erreicht, nichts vorzuzeigen, nichts zu verteidigen, sie sind in allem abhängig und vertrauen auf die Hilfe anderer. Jesus will damit nicht sagen, dass wir uns passiv verhalten und Verantwortung ablehnen sollen. Wir sollen uns vielmehr bewusst und in aller Freiheit „klein machen“, uns also um eine echte Kursänderung bemühen.
„Wer sich so klein macht wie dieses Kind, der ist im Himmelreich der Größte.“
Das Kind im Sinne des Evangeliums wird von Chiara Lubich so beschrieben: „Ein Kind verlässt sich voller Vertrauen auf seine Eltern und weiß sich von ihnen geliebt. ... So kann es auch für Menschen sein, die Jesus folgen: Wie Kinder an die Liebe der Eltern glauben, so glauben sie an die Liebe Gottes. Sie werfen sich in die Arme des himmlischen Vaters und vertrauen ihm grenzenlos. ... Kinder sind in allem von ihren Eltern abhängig. Als ‚Kinder des Evangeliums‘ sollten auch wir uns ganz dem Vater anvertrauen. ... Er weiß, was wir brauchen, noch bevor wir ihn darum bitten. Gerade das Reich Gottes können wir nicht erobern, wir können es nur als Geschenk aus den Händen des Vaters empfangen.“
Chiara Lubich unterstreicht, wie sehr Kinder ihren Eltern vertrauen und von ihnen lernen. „Ein ‚Kind des Evangeliums‘ vertraut die Vergangenheit Gottes Barmherzigkeit an und kann so jeden Tag ein neues Leben beginnen und offen sein für die schöpferischen Anregungen des Geistes. Ein Kind lernt das Sprechen nicht von allein; es braucht jemanden, der es ihm beibringt. Auch die Jünger Jesu ... lernen vom Wort Gottes – bis dahin, dass ihr Reden und Tun ganz dem Evangelium entspricht.“
Kinder wollen oft so werden wie ihr Vater oder ihre Mutter. „Das Gleiche gilt für das Kind des Evangeliums. Es ahmt den himmlischen Vater nach, der die Liebe ist, und liebt deshalb, wie er es tut: Es liebt alle, denn auch der Vater ‚lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten, und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.‘[1] Es liebt als Erstes, weil auch der Vater uns geliebt hat, als wir noch Sünder waren. Es liebt, ohne etwas zu erwarten, ohne Eigeninteresse, weil auch der himmlische Vater so handelt.“[2]
„Wer sich so klein macht wie dieses Kind, der ist im Himmelreich der Größte.“
Auch in Kolumbien gab es harte Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Vicente und seine Familie mussten monatelang zu Hause bleiben. „Mit Beginn der Ausgangssperre hat sich unser Leben schlagartig verändert. Meine Frau und die beiden ältesten Kinder mussten sich auf Prüfungen an der Universität vorbereiten, unser Jüngster hingegen kam nicht mit dem Online-Unterricht zurecht. Keiner hatte Zeit für den anderen, alle waren mit sich selbst beschäftigt. Die Stimmung wurde immer gereizter, bis es fast zum offenen Streit kam. Ich verstand, dass ich jetzt das ‚neue Leben‘ mit dem Evangelium in die Tat umsetzen konnte. Ich habe angefangen, die Küche in Ordnung zu bringen und mich um die Mahlzeiten zu kümmern. Ich kann nicht gut kochen oder putzen, aber ich habe gemerkt, dass ich so zum Abbau der Spannungen beitragen konnte. So ging das über Monate. Auch die anderen Familienmitglieder haben nach ihren Möglichkeiten mitgemacht und geputzt, sich um die Wäsche gekümmert und aufgeräumt, wenn sie Zeit hatten. Miteinander haben wir erlebt, dass das Evangelium wahr ist und uns eine schöpferische Liebe schenkt.“
Letizia Magri
© Alle Rechte an der deutschen Übersetzung beim Verlag NEUE STADT, München
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[1] Matthäus 5,45
[2] Chiara Lubich, Kommentar zum Wort des Lebens, Oktober 2003 (Markus 10,14)